Zwölf Uhr mittags
Dem Pfarrer einer Stadt im Süddeutschen fiel ein alter, bescheiden wirkender Mann auf, der jeden Mittag die Kirche betrat und sie kurz darauf wieder verließ.
So wollte er eines Tages von dem alten Mann wissen, was er denn immer in der Kirche tue.
Der alte Mann antwortete: „Ich gehe hinein, um zu beten.“
Als der Pfarrer verwundert meinte, er verweile aber nie lange genug in der Kirche, um wirklich beten zu können, meinte der Besucher:
„Ich kann kein langes Gebet sprechen, aber ich komme jeden Tag um zwölf Uhr und sage: „Jesus, hier ist Johannes“. Dann warte ich eine Minute, und er hört mich.“
Einige Zeit später musste Johannes ins Krankenhaus.
Ärzte und Schwestern stellten bald fest, dass er auf die anderen Patienten einen heilsamen Einfluss hatte.
Die Nörgler nörgelten weniger, und die Traurigen konnten auch mal lachen.
„Johannes“, bemerkte die Stationsschwester irgendwann zu ihm, „die Männer sagen, du hast diese Veränderung bewirkt. Immer bist du gelassen, fast heiter.“
„Schwester“, meinte Johannes, „dafür kann ich nichts. Das kommt durch meinen Besucher.“
Doch niemand hatte bei ihm je einen Besuch gesehen.
Er hatte keine Verwandten und auch keine engeren Freunde.
„Dein Besucher“, fragte die Stationsschwester, „wann kommt der denn?“
„Jeden Mittag um zwölf. Er tritt ein, steht am Fußende meines Bettes und sagt:
„Johannes, hier ist Jesus.“ (nach einer alten Erzählung)
Diese kleine Geschichte rührt mich immer wieder neu an, und ich denke, sie kann uns auch in der Zeit der Corona-Pandemie etwas sagen. Je länger die Pandemie dauert, umso mehr spüren wir, was wirklich zählt im Leben: eine Berührung, menschliche Nähe, ein offenes Ohr, das zuhören kann, ein Dankeschön, eine Nachfrage aus wirklichem Interesse und vieles mehr. Wir merken, dass wir Beziehung/Kontakt brauchen, doch manchmal stellt uns das Leben in eine „soziale Wüste“, die viele Heimbewohner, Krankenhauspatienten, Alleinlebende besonders gespürt haben, aber auch die Angehörigen, Freunde dieser Menschen, die sie leider nicht besuchen konnten.
Jetzt, wo es seitens des Staates erste Lockerungen gibt, saugen wir die neuen Möglichkeiten auf „wie ein Schwamm“ – es ist, als ob sich die Seele reckt und streckt, wie ein Muskel, der lange nicht bewegt wurde.
Mit kostbarem Gut muss man gut umgehen., so auch mit dem neuen Stück Freiheit.
Schaffen wir es, mit ihr verantwortungsvoll umzugehen; schätzen wir das, was wieder geht oder wollen wir gleich den nächsten Schritt und mehr? Manchmal bringen einen viele kleine Schritte weiter als mit großen Schritten davon zu stürmen, weil wir bei den kleinen Schritten die Seele mitnehmen, ihr Raum geben, einen kostbaren Moment wahrzunehmen . Der alte Johannes in unserer Geschichte macht genau das. Als älterer Mensch hat er sicher schon viel erlebt und anscheinend bleibt ihm dennoch wenig Zeit für sich. Doch den Moment, den er hat, den nutzt er und gewinnt daraus seine Kraft für den Alltag. Er freut sich jeden Tag auf eine verlässliche Verabredung. Er weiß, er wird erwartet – von niemand geringerem als Jesus selbst.
Sie reden nur einen Satz miteinander und hören einander zu. Sie sind füreinander da, wo immer sie auch sind. Das spürt Johannes, als er im Krankenhaus ist; da kommt Jesus ihn besuchen. Aus dieser Jesusbegegnung des Johannes geht eine Kraft und ein innerer Friede aus, was die Mitpatienten und das Klinikpersonal spüren. Ich wünsche uns auch, dass wir in unserer Sehnsucht nach Zuwendung und nach dem „Leben wie vor der Pandemie“ die kleinen kostbaren Momente und Möglichkeiten nicht übersehen, sondern als Kraftquelle zum nächsten Schritt mitnehmen.
Die Geschichte sagt uns auch: Wir sind nie allein, egal wo wir sind. Ich möchte uns auch zu einer Verabredung mit Gott ermutigen – es kann ein kurzes Innehalten mitten am Tag sein, ein kurzer Besuch in der Kirche oder beim Spaziergang in der Natur – egal wo wir sind, was wir gerade tun.
„Hallo Jesus, hier ist………………….“ – ich bin gespannt, was er jedem von uns als Antwort ins Herz geben wird. Ich fange heute schon einmal damit an.
Ihre/Eure Marina Lisa Steineke GR
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